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Der wichtigste Vertrag zum Schutz der Natur

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Seit dem vergangenen Montag hat die Welt ein neues Abkommen zum Schutz der Natur! 193 Staaten haben sich beim 15. Weltnaturgipfel (COP15) auf gemeinsame Ziele geeinigt. Die Hoffnung auf einen „Paris-Moment“, vergleichbar mit dem Weltklimaabkommen aus dem Jahr 2015, hat sich jedoch nicht erfüllt.

Während der Konferenz in Montreal war zwischenzeitlich nicht einmal klar, ob überhaupt ein Vertrag zustande kommt. Nun gibt es zwar ein Abkommen, doch dieses ist rechtlich nicht bindend. Und auch die Ziele bleiben weit hinter denen zurück, die eigentlich für ein schnelles Abwenden der Biodiversitätskriese nötig wären. Wir befinden uns im Wettlauf gegen die Zeit, denn wir stecken mitten in einer sogenannten „Zwillingskrise“. Diese Zwillinge heißen „Klimawandel“ und „Artensterben“. Das Montreal-Abkommen ist somit der weltweit wichtigste Vertrag zum Schutz der Natur, denn er zielt darauf ab, beide Krisen abzumildern. Aber er ist nur der Anfang.

Was ist global, in der EU und in Deutschland nun zu tun?

Umso wichtiger ist es, dass die Staaten die 23 beschlossenen Umweltziele jetzt zügig umsetzen. Ansonsten sei das Abkommen nicht mehr als „ein schönes Dokument, mit dem wir unsere Regale schmücken können“, sagte die Chefin der UN-Biodiversitätskonvention, Elizabeth Maruma Mrema. So war es schon vor zehn Jahren, als die Weltnaturkonferenz sich auf die Aichi-Ziele geeinigt hatte, von denen allerdings kein einziges erreicht wurde. Umweltschützer*innen weltweit bemängeln, dass es auch diesmal im Abkommen weder messbare Ziele noch konkrete Vorgaben gibt. Erstmals gibt es allerdings – anders als in früheren Abkommen – Überwachungsmechanismen. Instrumente zum Nachschärfen fehlen allerdings.

Das bedeutet, dass die Staaten die neuen globalen Naturschutz-Ziele jeweils auf nationaler Ebene angehen müssen. In Deutschland eignet sich dafür zum Beispiel die nationale Biodiversitätsstrategie, deren Ziele allerdings in der Vergangenheit ebenfalls nicht erreicht wurden. Auch auf EU-Ebene gibt es mit dem Nature Restoration Law einen Mechanismus, den die Staatengemeinschaft zur Umsetzung des Montreal-Abkommens nutzen könnten. Außerdem hat die EU-Kommission im Rahmen des Europäischen „Green Deal“ einen Vorschlag für eine Verordnung zur Reduktion von Pestiziden gemacht. Dieser ist allerdings zurzeit von mehreren Seiten unter Beschuss. Nach dem Abkommen von Montreal sollte den Blockierenden klar werden, dass die Verordnung jetzt nicht noch weiter verwässert oder sogar verhindert werden darf.

Was sind die wichtigsten Ziele und Aufgaben?

Als das wichtigste Ziel des neuen Abkommens gilt das 30×30-Ziel: Bis zum Jahr 2030 sollen mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresflächen „wirkungsvoll konserviert“ werden. Allerdings bleibt unklar, was genau unter der Formulierung zu verstehen ist und wie diese wirksam umgesetzt werden soll. Außerdem gibt es das Ziel bislang nur auf Papier. Zurzeit stehen erst circa 17 Prozent der Land- und etwa 8 Prozent der Ozeanfläche unter Schutz vor menschlichen Eingriffen durch Fischerei, Bergbau oder Landwirtschaft.

Als wichtiges Ziel gilt auch Unterziel 17. Dieses legt fest, das Gesamtrisiko durch Pestizide und hochgiftige Chemikalien sowie durch Düngemittel bis zum Jahr 2030 um mindestens die Hälfte zu reduzieren.

Ein weiteres Ziel ist mehr Geld für den Schutz der Artenvielfalt. Ein Großteil der globalen Biodiversität befindet sich in Ländern des Globalen Südens, die oft nicht die nötigen finanziellen Mittel für Naturschutzmaßnahmen oder den Umbau des Wirtschaftssystems haben. Daher waren die Forderungen dieser Länder auf der COP15 entsprechend laut. Von der Geldfrage hing zwischenzeitlich sogar die Fortführung der gesamten Konferenz ab. Ärmere Staaten hatten einen globalen Artenschutzfonds gefordert, der jedoch nicht beschlossen wurde. Diese Länder müssen den größten Teil der Gelder zum Schutz ihrer Biodiversität selbst aufbringen. Vertreter*innen aus Lateinamerika, Afrika und Südostasien hatten daher zwischenzeitlich aus Protest die Sitzungen verlassen und die Demokratische Republik Kongo trug aus diesem Grund die Abschlusserklärung nicht mit.

Die USA und auch der Vatikan waren übrigens nicht an den Verhandlungen beteiligt. Sie sind dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt bis heute nicht beigetreten.

Wer soll das bezahlen?

Beschlossen wurde letztlich, dass die bisherige Finanzierungslücke von 700 Milliarden US-Dollar pro Jahr „schrittweise geschlossen“ werden soll. Bis zum Jahr 2030 sollen aber zunächst nur 200 Milliarden Dollar pro Jahr für den Schutz der Biodiversität investiert werden. Das Geld soll aus „allen Quellen“ kommen, also nicht allein aus Steuergeldern, sondern auch aus der Wirtschaft – beispielsweise durch Kompensationszahlungen von Firmen mit negativen Umweltauswirkungen. Das ist ein interessanter Punkt, denn künftig sollen Firmen darüber berichten, ob ihre Tätigkeit Auswirkungen auf die Biodiversität hat. Das könnte sich auch auf die Finanzmärkte auswirken. Naturrisiken könnten zu Anlagerisiken werden und die Rendite mindern.

Aus Steuermitteln kommen von den reichen Industriestaaten statt der jetzigen 10 Milliarden pro Jahr erst einmal nur 20 Milliarden US-Dollar bis zum Jahr 2025. Bis zum Jahr 2030 soll die jährliche Summe auf 30 Milliarden Dollar steigen. Rechtlich bindend ist diese Vereinbarung jedoch nicht.

200 Milliarden pro Jahr bis 2030 mögen für uns Normalbürger*innen viel klingen, doch sind sie deutlich zu wenig, um wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen. Einer Studie der Forschungsorganisation Paulson Institute zufolge werden jährlich etwa 700 Milliarden US-Dollar gebraucht, um den Verlust der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2030 umzukehren.

Daher ist auch die Einigung darauf so wichtig, jährlich umweltschädliche Subventionen in Höhe von mindestens 500 Milliarden Dollar abzubauen. Denn noch immer subventionieren alle Staaten weltweit den Abbau fossiler Brennstoffe oder naturschädliche landwirtschaftliche Praktiken mit Hunderten von Milliarden.

Was könnten wir anders machen?

Die bevorstehenden Aufgaben für die Menschheit sind groß. Wir Menschen sind allerdings auch die Verursacher für das Artensterben, den Verlust der genetischen Vielfalt und der Vielfalt der Ökosysteme. Wir sollten in der Lage sein, unser Verhalten zu ändern und die Ursachen der Biodiversitätskriese – Überfischung, Jagd, Bergbau, Waldrodung, Klimakrise, Umweltverschmutzung und invasive Arten – zu bremsen oder sogar gänzlich zu stoppen.

In Deutschland gibt es noch viel zu tun. Zwar ist das 30-Prozent-Ziel laut Umweltministerium bereits erreicht, da angeblich 45 Prozent der Meeres- und über 30 Prozent der Landfläche unter Schutz stehen – sofern man Landschaftsschutzgebiete mitzählt. Wissenschaftler*innen unter anderem des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung sehen das allerdings anders. Ihnen zufolge sind 80 Prozent der Landschaften in Deutschland, also Wälder, Gewässer und die landwirtschaftlich genutzten Gebiete, in einem ökologisch schlechten Zustand. Auch gebe es erst 17 bis 18 Prozent Naturschutzgebietsflächen. Zudem sei das Ziel, zwei Prozent aller Flächen in Deutschland zu Wildnis-Gebieten zu erklären, längst nicht erreicht. Bisher sind es gerade einmal 0,6 Prozent.

Auch beim Thema Pestizide gibt es viele Hausaufgaben für Deutschland. Denn laut Pestizid-Atlas 2022 ist die Verwendung chemischer Spritzmittel seit etwa 25 Jahren gleichbleibend hoch. Etwa 27.000 bis 35.000 Tonnen Pestizid-Wirkstoffe werden in Deutschland pro Jahr verkauft. Aus Sicht vieler Umweltschutzorganisationen und auch der Aurelia Stiftung reicht es aber nicht, den Einsatz nur zu halbieren. Wir müssen bis zum Jahr 2035 gänzlich vom Einsatz chemischer Ackergifte in der Landwirtschaft wegkommen.

Umfangreich sind auch die Hausaufgaben beim Abbau umweltschädlicher Subventionen. 500 Milliarden solcher Fehlinvestitionen sollen gemäß Montreal-Abkommen bis zum Jahr 2030 umgestaltet oder ganz eingestellt werden. Doch allein in Deutschland beliefen sich die umweltschädlichen Subventionen nach Angaben des Umweltbundesamtes im Jahr 2018 auf 65,4 Milliarden Euro Jahressumme. Weltweit sind es nach Schätzungen der Organisation „Business for Nature“ pro Jahr rund 1,8 Billionen US-Dollar, was etwa zwei Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes entspricht. 500 Milliarden bis 2030 sind demgegenüber also nicht viel. Allein 470 Milliarden US-Dollar jährlich fließen den Vereinten Nationen zufolge in die Landwirtschaft und führen dort zu „umwelt- und sozialschädlichen Preisverzerrungen“.

Wir müssen also weltweit konsequent sein, vor allem in den reichen Industrieländern, die für die „Zwillingskrisen“ des Klimas und des Artensterbens hauptsächlich verantwortlich sind. Unser Wohlstand und unser Konsum hat für Menschen im Globalen Süden und für andere Lebewesen auf unserem Planeten durch Ausbeutung und Zerstörung schon viel zu viel Leid angerichtet. Wir müssen darauf hinarbeiten, unsere Finanzsysteme und unsere Art zu Wirtschaften konsequent umzubauen – und wir können eine neue Agrarpolitik mitgestalten!

Was haben wir zu verlieren?

Von acht Millionen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten könnten nach Schätzungen des internationalen Biodiversitätsrats IPBES bis 2030 eine Million bereits ausgerottet sein. Selbst bei einer vorsichtigen Schätzung sind mit 600.000 allein zehn Prozent aller Insektenarten bedroht. Und wir wissen, dass wir auch für das Überleben der Menschheit von ihnen abhängig sind, immerhin bestäuben Insekten etwa drei Viertel unserer Nahrungspflanzen. Wir befinden uns also Mitten im sechsten großen globalen Massensterben – diesmal verursacht vom Menschen. Nach Angaben der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina ist die Aussterberate zurzeit um mehrere Hundertmal größer als die natürliche. Täglich verschwinden etwa 130 bis 150 Arten für immer. Das letzte Aussterben in dieser Größenordnung trug sich vor 65 Millionen Jahren zu, als die Dinosaurier ausgelöscht wurden.

Zum Weiterlesen:

Deutschlands Lücken beim Artenschutz (Tagesschau, 21.12.2022)

SPIEGEL-Klimabericht: Kein Klimaschutz ohne Artenschutz – und umgekehrt (SPIEGEL, 16.12.2022)

Klima und Biodiversität: Warum einige Arten besonders wichtig sind (DW, 16.12.2022)

Acht Milliarden – Der Auslandspodcast des SPIEGEL: Wie überstehen wir die Zwillingskrise aus Klimawandel und Artensterben? (SPIEGEL, 16.12.2022)

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