Unsere Projekte – aktuell

Glyphosat im Honig – Der Fall Seusing

Seit dem Frühjahr 2019 begleiten wir die Imkerfamilie Seusing aus Brandenburg, die ihren Betrieb aufgrund eines Glyphosat-Schadens inzwischen aufgeben musste. Mehrfach demonstrierten wir gemeinsam mit anderen solidarischen Imker*innen vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) in Berlin und forderten Politik und Behörden dazu auf, umgehend ein Anwendungsverbot für Pestizide in blühenden Pflanzenbeständen zu erlassen.

Um Schadensersatz vom verursachenden Landwirtschaftsbetrieb einzufordern, zogen die Seusings mit Unterstützung der Aurelia Stiftung vor Gericht. Das Landgericht Frankfurt/Oder urteilte am 20. Juni 2022 vollumfänglich zugunsten der Imkerfamilie. Sie erhält Schadensersatz für ihren mit Glyphosat verunreinigten Honig. Die Aurelia Stiftung begrüßt das Urteil als richtungsweisendes Signal für die Landwirtschaft und Politik. Bisher blieben Imkereien auf den fremdverursachten Schäden sitzen, wenn ihr Honig durch Pestizide aus der Landwirtschaft belastet ist.

Glyphosat in blühendem Löwenzahn

Ende April 2019 stellte die Erwerbsimkerei Seusing an einem ihrer Bienenstandorte im Landkreis Barnim fest, dass auf dem angrenzenden Acker das glyphosathaltige Herbizid Durano TF (Hersteller: Bayer) ausgebracht worden war. Die ca. 70 Hektar große Fläche war zu diesem Zeitpunkt dicht mit blühendem Löwenzahn bewachsen und wurde von Seusings Bienen als Futterquelle genutzt. Resultat dessen waren die ersten 500 kg Frühjahrsblütenhonig mit einer bis zu 160-fachen Höchstmengenüberschreitung von Glyphosat. Die Tragweite des Problems wurde offensichtlich bei der Beprobung des Frühjahrshonigs des Bienenstandes in 3 km Luftlinie Entfernung des Löwenzahnfeldes. Auch dieser Honig wies noch eine 10-fache Höchstmengenüberschreitung auf und musste ebenfalls entsorgt werden. Mit einer Protestaktion vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium und einem offenen Brief an die Ministerin Julia Klöckner (CDU) forderten wir Schutz von Bienen und Imker*innen vor derartigen Pestizidschäden.

Glyphosat in Kornblumen

Die zweite schadensverursachende Glyphosat-Anwendung fand etwa zwei Monate später an einem anderen Bienenstandort der Seusings statt. Eineinhalb Tonnen Kornblumenhonig, die erneut im Rahmen des betriebseigenen Qualitätsmanagements der Seusings beprobt wurden, überschritten die Glyphosat-Höchstmenge um das 60-fache. Wie im Fall Aßmann (2016) muss diese Verunreinigung von einer Sikkation (Totspritzen von Getreide zur Ernteprozessoptimierung) in einem umliegenden Getreidefeld ausgegangen sein. Nach Feststellung des gesamten Schadens wandte sich das Imkerpaar Seusing, unterstützt durch die Aurelia Stiftung und dutzenden solidarischen Imker*innen, erneut an die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Mit einem „klebrigen“ Protest, bei dem Sebastian Seusing einen Teil seines Honigs auf der Eingangstreppe des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) verschüttete, forderten wir die Bundesministerin auf, endlich angemessene Schutzmaßnahmen für Bienen und Imkereien zu treffen.

Mutwilliges Wegsehen

Bei der bestehenden flächendeckenden Bienenhaltung in Deutschland ist davon auszugehen, dass Pestizide überall dort, wo sie in blühende Bestände gespritzt werden, von Honigbienen und anderen Bestäuberinsekten aufgenommen werden. Das BMEL verleugnet weiterhin die Systematik dieses Problems, spricht auch im Falle der Imkerei Seusing von „bedauerlichen Einzelfällen“ und sieht keinen Handlungsbedarf. Sowohl in diesem als auch in einem früheren Fall von 2016 haben wir das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) per Anwaltsschreiben auf die Missstände hingewiesen. In beiden Fällen haben wir keine Antwort erhalten. Stattdessen genehmigt das BVL weiterhin Beipackzettel von Glyphosat-Produkten mit der expliziten Empfehlung zum Spritzen in die Blüte.

Urteil zugunsten von Bienen und Imkereien

Jenseits eines gesetzlichen Schutzanspruchs für Bienengesundheit und Honigqualität besteht die Frage nach einer angemessenen Entschädigung für die Betroffenen. Im Falle der Imkerei Seusing wurde ein landwirtschaftlicher Betrieb eindeutig als Schadensverursacher identifiziert. Mindestens ein weiterer Landwirt müsste für den Schaden mitverantwortlich sein, konnte bisher aber nicht ermittelt werden.

Die Anwälte der Aurelia Stiftung erhoben im Auftrag der Imkerei Seusing eine Schadensersatzklage gegen den identifizierten Betrieb. Nach einem mehr als zweijährigem Rechtsprozess urteilte das Landgericht Frankfurt/Oder am 20. Juni 2022 in allen Punkten zugunsten der Seusings. Die beklagte Landwirtschaftsgesellschaft muss für den von ihr verursachten Teilschaden vollumfänglich haften.

Wie das Landgericht mit seinem Urteil bestätigt, sind Landwirt*innen für die Folgen ihres Glyphosateinsatzes voll verantwortlich. Sie dürfen Pestizide auf dem Acker nur so einsetzen, dass die geltenden Rückstandshöchstgehalte in Honig eingehalten werden. Deshalb weist der Pflanzenschutzdienst des Landes Brandenburg die Landwirt*innen seit Jahren darauf hin, dass zur Vermeidung von Rückständen im Honig der Einsatz glyphosathaltiger Herbizide auf blühende Pflanzen unterbleiben sollte.

Für die Landwirtschaft und Politik hat das Urteil eine wichtige Signalwirkung, die weit über Brandenburg hinausreicht. Die Tatsache, dass Landwirt*innen für Schäden durch Pestizide zur Haftung herangezogen werden können, hilft hoffentlich dabei, dass derartige Schäden seltener auftreten und Bienen weniger belastet werden. Die Aurelia Stiftung setzt sich zum Schutz der Wild- und Honigbienen sowie der Imkerschaft weiterhin für ein bundesweites Verbot von Pestizidspritzungen in blühende Pflanzenbestände ein.

Finanzierung

Im Zuge des mehrjährigen Gerichtsprozesses sind hohe Kosten entstanden, die durch Spenden gedeckt werden müssen. Für solch eine privatrechtliche Klage dürfen keine Spenden gemeinnütziger Organisationen eingesetzt werden. Für ähnliche Konstellationen hat Thomas Radetzki schon 2007 einen Fond geschaffen, der von einem Anwalt treuhänderisch verwaltet wird. Der erneute Erfolg vor Gericht zeigt: Es ist wichtig, solche Gerichtsverfahren zu führen. Denn eine grundlegende Klärung von Schadensersatzansprüchen bei derartigen Problemen ist überfällig. Anwender*innen von Pestiziden müssen nun damit rechnen, für entsprechende Schäden zur Kasse gebeten zu werden. Die Sensibilität für Bienen bei Pestizidanwendungen soll dadurch unterstützt werden.

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