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Nicht die Natur muss verändert werden, sondern unser Umgang mit ihr!

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Immer mehr Bürger*innen wehren sich dagegen, mit Gentechnik in kaum verstandene Prozesse des Ökosystems einzugreifen. Als Anwältin der Biene verschafft die Aurelia Stiftung ihnen Gehör. Von Bernd Rodekohr.

Ende Mai überreichten „Save Our Seeds“, die Aurelia Stiftung und das Umweltinstitut München Bundesumweltministerin Steffi Lemke knapp 300.000 Unterschriften für die europäische „Stop Gene Drive“-Kampagne. Die Bürger*innen fordern in ihrer Petition, Freiland-Experimente mit gentechnisch veränderten Gene Drive-Organismen durch ein globales Moratorium zu unterbinden. Eine Reihe aus riesigen, kippenden Dominosteinen mit Motiven aus dem Nahrungsnetz der Mücke veranschaulichte bei der Übergabe auf dem Leipziger Platz in Berlin die Risiken der Technologie deutlich. Eine durch den Gene Drive ausgelöste gentechnische Kettenreaktion kann beispielsweise dafür sorgen, dass nur noch männliche Nachkommen geboren werden, wodurch Populationen zum Zusammenbruch gebracht werden können. Das Verfahren, mit dem Gentech-Unternehmen Krankheiten, Schadinsekten und invasive Arten bekämpfen wollen, ist auf diese Weise in der Lage, ganze Arten auszulöschen – gewollt oder ungewollt.

Wie sich die Welt vor den hochriskanten Gene Drives schützen kann, wird im Dezember 2022 bei der 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP15) der Vereinten Nationen zum Schutz der Artenvielfalt thematisiert werden. Steffi Lemke versprach bei der Übergabe der Petition, sich beim EU-Umweltministerrat für eine gemeinsame Position zu Gene Drives einzusetzen. Das Vorsorgeprinzip und die Risikobewertung der EU müssten berücksichtigt werden, so Lemke, da die Menschheit und die Wissenschaft sich mit Gene Drives überschätze.

Tatsächlich unterstrich der EU-Umweltministerrat am 24. Oktober 2022 die Bedeutung von Vorsorgeprinzip und Risikobewertung für Gene Drive-Organismen. Zudem befürworteten die Minister*innen die Erstellung von Leitlinien zur Umweltrisikobewertung von Gene Drive-Organismen. Sie sprachen sich außerdem für die Einrichtung eines Prozesses zur Beobachtung und Bewertung synthetisch erzeugter Organismen über Umweltrisiken hinaus aus, um weiterreichende Auswirkungen, z.B. auf die menschliche Gesundheit, sozio-ökonomische, ethische oder kulturelle Effekte, abschätzen zu können.

Gene Drives könnten sich über Artgrenzen hinweg ausbreiten.

Wie wichtig verbindliche, internationale Vereinbarungen zum Schutz der Biodiversität vor unkontrollierter Gentechnik sind, zeigt eine Studie, die das Gene Drive-Forschungskonsortium „Target Malaria“ auf seiner Webseite veröffentlicht hat. Die Arbeit belegt, dass Gene Drives sich über Artgrenzen hinweg auf Nichtzielorganismen ausbreiten können. Dazu haben die Studienautoren die neun Stechmückenarten des sogenannten „Anopheles gambiae-Komplexes“ untersucht, von denen nur drei Arten als wichtige Malariaüberträger gelten. Ein einziges Gene Drive-„Todesgen“, mit dem Target Malaria experimentiert, um Malaria zu bekämpfen, könnte alle Arten des Anopheles gambiae-Komplexes auslöschen. Da 95 % der Mückenlarven gefressen werden, noch bevor sie sich zu Mücken entwickeln, könnte ihr Verschwinden die Populationen der Vögel, Fische und Amphibien schädigen, die sich von den Mückenlarven ernähren.

Artgrenzen? Auch für Gentechnik-Raps kein Problem.

Nicht nur gentechnisch veränderte Mücken, auch gentechnisch veränderte Pflanzen können sich über Artgrenzen hinweg ausbreiten. Eine neue Studie zeigt, dass gentechnisch veränderter Raps seine Eigenschaften über Arten und über große Flächen hinweg auskreuzt. Was würde es für die Gesamtheit des Ökosystems bedeuten, wenn, – etwa nach der geplanten Deregulierung des Gentechnikrechts –, tausende, nur „minimal“ gentechnisch veränderte Pflanzenarten unser Ökosystem überschwemmen? Die Auswirkungen zu modellieren, ist unmöglich. Deshalb plädieren Expert*innen von Umweltbehörden aus Deutschland, Italien, Österreich, Polen und der Schweiz dafür, alle Pflanzen, auch solche aus Neuer Gentechnik, vor einer Freisetzung auch weiterhin für jeden Einzelfall einer verpflichtenden Umwelt-Risikoprüfung zu unterziehen. „In Anbetracht des breiten Spektrums an Pflanzenarten und der zu berücksichtigenden gentechnischen Methoden und Eigenschaften gibt es keine standardmäßige Sicherheit für ganze Gruppen von gentechnischen Anwendungen.“, so die Expert*innen.

„In der Natur existiert nichts für sich allein.“ (Rachel Carson)

Doch zurück zu den Anopheles-Mücken. Diese sind nicht nur Nahrung für andere Insekten, Amphibien und Vögel, vor allem sind sie Bestäuber, die sich mehr von Nektar als von Blut ernähren. Die für das Ökosystem lebenswichtige Bestäubungsleistung könnte durch ihr Verschwinden geschädigt werden ebenso wie schwerwiegende negative Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung sich nicht ausschließen lassen: Wenn eine Malariamückenart aus einem Ökosystem entfernt wird, besteht die Gefahr, dass eine andere – möglicherweise noch gefährlichere Art – ihren Platz einnimmt und die Malaria-Übertragung fortsetzt. Dies ist schon mindestens einmal vorgekommen. Anopheles funestus wurde durch den Malaria-Vektor Anopheles rivolurum ersetzt, nachdem der Lebensraum des Insekts im ländlichen Tansania mit Insektiziden besprüht worden war. Ein anderes Beispiel ist das für den Menschen giftige Karottenkraut (Parthenium hysterophorus). Dieses wurde durch Getreide- und Soja-Importe nach Afrika eingeschleppt. Das Karottenkraut ist nicht nur ein aggressives Unkraut, das Ernteerträge und lokale Biodiversität schädigt, es wirkt zugleich wie ein Power-Snack auf A. gambiae und trägt so zur Verbreitung von Malaria bei.

Das Gefüge der Natur ist komplexer und verschlungener, als der Mensch es sich vorstellen kann. Alles hängt mit allem zusammen. Nicht nur Pflanzen können die Ausbreitung von Malaria fördern, sondern auch Pilze. Als in Mittelamerika eine Pilzkrankheit Amphibien dezimierte, erkrankten tausende Menschen an Malaria. Der Grund: Durch die fehlenden Frösche konnten sich Insektenpopulationen deutlich ausbreiten.

Ein einziges Gen kann ganze Ökosysteme verändern.

Solche verborgenen Zusammenhänge, die für den Menschen oft erst sichtbar werden, wenn Schäden im Gefüge der Natur auftreten, finden sich überall im Ökosystem. Wir sollten dies als ein Warnsignal verstehen und zum Anlass nehmen, die fragilen Gleichgewichte und verborgenen Kipppunkte im komplexen System der Natur besser zu erforschen. Werden mögliche Umweltsystemrisiken nicht oder nachlässig geprüft, können auch „gezielte“ Eingriffe ins Genom einzelner Arten irreversible Schäden im ganzen System anrichten. Schon die Veränderung eines einzigen Gens kann ein ganzes Ökosystem beeinflussen, wie Forschende der Universität Zürich erst kürzlich bei einem genetisch-ökologischen Experiment herausgefunden haben. Die Mutation eines einzigen Pflanzengens beeinflusste das Überleben mehrerer Blattlausarten sowie ihrer Parasiten und führte im Extremfall zum Zusammenbruch der gesamten Nahrungskette.

Wir müssen reden!

Die Empfindlichkeit und Komplexität des Ökosystems erfordert, dass wir auch und vor allem über die erheblichen Ökosystem-Risiken der Agrogentechnik reden. Gemeinsam mit „Europe Calling“ lud die Aurelia Stiftung am 7. Juli 2022 Befürworter*innen und Gegner*innen der geplanten Deregulierung des Gentechnikrechts in Europa zu einer kontroversen und lebendigen Debatte mit über 1000 Zuschauer*innen ein. Die Veranstaltung „Welche Rolle kann Gentechnik in der Landwirtschaft spielen?“ wurde von der Journalistin und Autorin Dr. Tanja Busse moderiert.

Es diskutierten:

Dr. Klaus Berend, EU-Kommission

Thomas Radetzki, Aurelia Stiftung

Svenja Augustin, GiveGenesAChance

Dr. Angelika Hilbeck, Agrarökologin

Robert Hoffie, Pflanzengenetiker

Dr. Friedhelm von Mering, Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft

Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und ist hier einsehbar.

Keine Gentechnik hinter unserem Rücken – schon gar nicht ungeprüft!

Da schon ein einziges Gen ganze Ökosysteme verändern kann, müssen auch „kleine“ gentechnische Veränderungen bei Pflanzen immer auf mögliche Auswirkungen auf die Natur untersucht werden. Das fordern 95 % der Bürger*innen in Deutschland. Dennoch will die EU Gentechnik ohne Risikoprüfung und Kennzeichnung auf Äcker und Teller schmuggeln. Über 300.000 Menschen und mehr als 50 NGOs, darunter die Aurelia Stiftung, fordern: Nicht hinter unserem Rücken – kein Freifahrtschein für neue Agrogentechnik! Unser nächstes Ziel sind 500.000 Unterschriften.

Bitte macht Freunde und Bekannte auf unsere Petition www.biene-gentechnik.de aufmerksam. Denn nicht die Natur muss verändert werden, sondern unser Umgang mit ihr.

 

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