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Kommentar: Prokrastination in der Agrarpolitik

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Der Glaube an technologische Lösungen in der Landwirtschaft kann uns nicht die Mühe ersparen, unser Verhalten zu ändern und unsere systemischen Probleme sofort anzugehen. Für eine Klima- und Ernährungswende braucht es dringender denn je mutiges politisches Handeln. Ein Kommentar von Bernd Rodekohr.

Prokrastinieren Sie auch manchmal? Wer prokrastiniert, lenkt sich mit unwichtigen Tätigkeiten ab von wichtigen, aber unangenehmen Aufgaben. Statt Nerviges zu erledigen, wie die Steuererklärung oder das teure Abo zu kündigen, scrollen wir lieber durch Social-Media oder machen Zukunftspläne. Eine Ausrede, warum das gerade wichtig ist, fällt uns immer ein. Derweil läuft das teure Abo weiter und die Steuererklärung erledigt sich auch nicht von selbst.

Prokrastination gibt es auch in der Politik. Je drängender die Lösung globaler Krisen wird, um so beliebter das Prokrastinieren. Besonders in der Agrarpolitik. Statt endlich der Intensivlandwirtschaft den Kampf anzusagen, einem entscheidenden Faktor beim Insektensterben, werden Rückzugsräume für Insekten und Vögel stillgelegt und Intensivlandwirtschaft ausgeweitet, obwohl sie eine der Ursachen der ungerechten globalen Nahrungsmittelverteilung ist. So beruhigt Europa sein Gewissen – und die Agrarlobby. Die eigentlichen Ursachen für den Hunger auf der Welt bleiben liegen. Die Politik prokrastiniert. Artenschutz kommt später. Aber können wir es uns noch leisten, brennende systemische Probleme auf die lange Bank zu schieben? Dürfen wir weiter Weizen für Dumpingpreis-Fleisch verfüttern? Getreide-Spekulation zulassen? Den Artenschutz aussetzen, anstatt die Beimischungspflicht für Biosprit? Dürfen wir angesichts des Kriegs gegen die Ukraine Millionen Tonnen Getreide in Sprit verwandeln?

Unangenehme Fragen. Wer die nicht beantworten will, lenkt ab: Whatabout Gentechnik!? Klimakrise, Artensterben, Hunger… Glaubt man der Industrie, ist Gentechnik praktisch die Antwort auf alles. Gerade hat Argentinien einen „dürretoleranten“ Weizen des globalen Agrarkonzerns Bioceres freigegeben. Das Unternehmen preist seinen Gen-Weizen als Antwort auf Klimaextreme und Welthunger an. Wobei es gern verschweigt, dass sein patentierter Weizen gegen das Herbizid Glufosinat-Ammonium resistent ist. Das Ackergift gilt als toxischer als Glyphosat. Herbizidresistente Pflanzen sterben nicht ab, wenn sie mit Unkrautvernichtungsmitteln besprüht werden. Geht es dem Konzern also doch eher um die Aufrechterhaltung des bienenschädlichen Geschäftsmodells Intensivlandwirtschaft als um die Bekämpfung des Hungers? Auskunft gibt eine Zahl des argentinischen Agrarministeriums, dass die Erträge des Gen-Weizens geprüft hat: Der Gen-Klimaweizen gegen Hunger bringt ein Drittel weniger Ertrag als traditioneller Weizen.

Möglicherweise sollten wir doch nicht auf vom Meer bewässerte Getreidefelder warten oder auf essbare Knollenblätterpilze, von denen Gentechnik-Fans allen Ernstes träumen. Der Glaube an Zukunftstechnologien kann uns nicht die Mühe ersparen, unser Verhalten jetzt zu ändern und unsere systemischen Probleme sofort anzugehen. Und dafür brauchen wir keine Ablenkung durch Gentechnik. Prokrastinieren ade!

Machen auch Sie mit! Unterschreiben Sie unseren Appell „Keine Gentechnik ohne Risikoprüfung und Kennzeichnung!“ auf www.biene-gentechnik.de.

Dieser Text wurde in der Zeitschrift Info3 (Ausgabe September 2022) erstveröffentlicht.

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