Unsere Klagen gegen Glyphosat

Raus aus der Endlosschleife!

Eine der Hauptursachen für das Leiden und Aussterben von Wildbienen, anderen Bestäubern und Bodenlebewesen ist der fortwährende massive Einsatz von Pestiziden auf Europas Äckern. Bislang hat kein agrarpolitisches Instrument der EU zu einer substanziellen Verringerung geführt.

Glyphosat ist einer der weltweit am meisten in anwenderfertigen Pestizid-Präparaten verwendeten Pestizid-Wirkstoffe. Seit Jahren wird über dessen Verwendung in der EU gestritten. Anstatt das alle Pflanzen abtötende „Total“-Herbizid vom Markt zu nehmen, hatte die EU-Kommission im Dezember 2022 entschieden, die Zulassung des Wirkstoffs um ein Jahr zu verlängern – und das obwohl die wissenschaftliche Risikoüberprüfung nicht abgeschlossen wurde. Ende November 2023 ließ die EU-Kommission nach gescheiterten Abstimmungen mit den EU-Mitgliedstaaten Glyphosat in der gesamten EU bis 2033 erneut zu.

Die Aurelia Stiftung hat als erste NGO in der EU Klage gegen die EU-Kommission beim Europäischen Gericht wegen ihrer Entscheidung vom Dezember 2022 (einjährige Verlängerung) eingereicht. Schaffen wir es erfolgreich gegen die einjährige Zulassungsverlängerung des Wirkstoffs Glyphosat zu klagen, wäre dies zugleich ein Musterverfahren für den Kampf gegen die quasi automatische Zulassungsverlängerung dutzender anderer Pestizidwirkstoffe in der EU. Auch gegen die im November 2023 beschlossene zehnjährige Wiederzulassung der EU-Kommission wird die Aurelia Stiftung Klage einreichen. Das bedeutet: Wir klagen in zwei Verfahren vor dem EU-Gericht gegen die EU-Kommission aufgrund von zwei Verlängerungsentscheidungen.

Aus unserer Sicht sind die Entscheidungen der Kommission nicht nur in Anbetracht neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse untragbar, wir sind überzeugt: Die Kommission verstößt gegen geltendes europäisches Recht und das in der europäischen Pestizidverordnung verankerte Vorsorgeprinzip.

Trotz des im deutschen Koalitionsvertrag festgehaltenen Ausstiegs aus Glyphosat ab 2024 hat das Bundeslandwirtschaftsministerium im Dezember eine Eilverordnung erlassen, mit der die Verwendung von glyphosathaltigen Pestiziden bis Juni 2024 erlaubt wird. Bereits Anfang Dezember 2023 verlängerte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) die Zulassungen von 27 glyphosathaltigen Spritzmitteln in Deutschland bis Mitte Dezember 2024.

Für den dringend notwendigen Ausstieg aus der pestizidabhängigen Landwirtschaft fehlt bislang offensichtlich der politische Wille – in der EU, aber auch in Deutschland. Umso wichtiger ist es, dass wir alle juristischen Möglichkeiten ausschöpfen, um zumindest die Einhaltung geltenden Rechts durchzusetzen. Dadurch setzen wir wichtige Impulse für den Gesetzgeber!

Eine Frage der Wissenschaft?

Neue und von Herstellern unabhängige wissenschaftliche Studien belegen: Sowohl der Wirkstoff Glyphosat als auch anwenderfertige Präparate, wie z.B. Round-Up-Formulierungen von Bayer, wirken sich negativ auf die Gesundheit und die Lebenserwartung von Bienen und Bestäubern aus. Das bedeutet: Mit ihren Entscheidungen nimmt die EU-Kommission in Kauf, dass Glyphosat ohne Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands weiterhin vermarktet und eingesetzt wird. Schäden für Natur (Zerstörung der Artenvielfalt über und im Boden, Belastung des Grund- und Oberflächenwassers) sowie langfristig auch der Menschen ignoriert die EU-Kommission. Noch im Juli 2023 hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) öffentlich bestätigt, dass die Auswirkungen von Glyphosat auf Wasserorganismen, Rückstände in Produkten sowie Risiken für Bienen noch nicht abschließend bewertet wurden.

Eine Frage der Macht?

Ursprünglich war es zu keiner qualifizierten Mehrheit für oder gegen die Zulassung unter den Mitgliedstaaten gekommen. Deutschland hatte sich bei beiden Abstimmungen enthalten, obwohl im aktuellen Koalitionsvertrag vereinbart ist, Glyphosat ab Anfang 2024 komplett zu verbieten. Zu der Zulassung um ein weiteres Jahr war es gekommen, weil die EFSA aufgrund von Datenlücken und offenen methodischen Fragen mehr Zeit für ihre Stellungnahme erbeten hatte. Darauf wollte aber die EU-Kommission nicht warten. Und weil Ende 2023 wiederum keine ausreichende Mehrheit unter den Mitgliedstaaten zustande kam, entschied sich die EU-Kommission zu einer zehnjährigen Wiederzulassung von Glyphosat

Ausnahmsweise darf die Kommission eine eigentlich erloschene Genehmigung vorläufig verlängern, bis das laufende Verfahren abgeschlossen werden kann. Voraussetzung ist allerdings, dass der Antragsteller – hier das Konsortium der Glyphosat-Hersteller – für die Verzögerung nicht verantwortlich ist. Dutzende Fälle zeigen: Es ist gängige Praxis, dass Zulassungen von Pestizid-Wirkstoffen in der EU immer wieder – nahezu routinemäßig – verlängert werden, obwohl die erforderliche aktuelle Sicherheitsprüfung noch nicht abgeschlossen wurde. Den Herstellern wird nach Ablauf von geltenden Fristen immer wieder die Möglichkeit eingeräumt, Daten nachzureichen. Die geltende Rechtslage wird nicht zugunsten des Allgemeinwohls ausgelegt, sondern offenkundig zugunsten der Pestizidhersteller. Aurelia lässt mit ihren Klagen diese Praxis gerichtlich überprüfen.

Eine Frage des Rechts!

Es braucht enorme zeitliche und finanzielle Ressourcen, um geltendes Recht gegen die Interessen der beinahe allmächtigen Chemiekonzerne durchzusetzen. Erst durch die 2021 von Aurelia gemeinsam mit verbündeten Organisationen erstrittene Anpassung der maßgeblichen EU-Verordnung 1367/2006 an die völkerrechtlich verbindliche Aarhus-Konvention ist es uns als Umweltverbänden möglich, gegen solche Entscheidungen der EU-Kommission gerichtlich vorzugehen. Von diesem Klagerecht hat Aurelia als erste europäische Organisation Gebrauch gemacht.

Für uns steht fest: Die EU-Kommission hat gegen ein elementares Ziel der europäischen Pestizidverordnung verstoßen: Pestizide dürfen nur Wirkstoffe enthalten, die nach aktueller wissenschaftlicher Risikobewertung nachweislich sicher sind und die Hersteller müssen rechtzeitig und vollständig sämtliche Nachweise für die Unschädlichkeit zu prüfender Pflanzenschutzmittel einreichen.

Unsere Rechtsauffassung wird durch zwei von Aurelia erstrittene Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, 06.05.2021 und 19.01.2023) zu Anwendungsverboten für Neonicotinoide gestützt. Demnach ist die Anwendung von Pestizidprodukten verboten, wenn sie nicht nach dem aktuellen Wissensstand nachweislich unschädlich sind. In wissenschaftlich begründeten Verdachtsfällen muss also der Umweltschutz Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen erhalten.

Was bisher geschah im Überblick:

  • Im Oktober 2023 hat der Ministerrat über die von der EU-Kommission geplante zehnjährige Neuzulassung von Glyphosat abgestimmt, jedoch die qualifizierte Mehrheit verfehlt.
  • Ende November 2023 erschien die zehnjährige Wiederzulassung von Glyphosat durch die EU-Kommission im EU-Amtsblatt.
  • Aurelia hat fristgerecht am 24. Januar 2024 zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) einen Antrag auf Überprüfung der Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat bei der EU-Kommission eingereicht. Lesen Sie hier die aktuelle Pressemitteilung.
  • Es ist davon auszugehen, dass der Antrag auf Überprüfung von der EU-Kommission abgelehnt wird. Aurelia und die DUH werden in diesem Fall Klage beim EU-Gericht einreichen.

Raus aus der Pestizidabhängigkeit der Landwirtschaft!

Die jüngste Entscheidung der EU-Kommission kam für Aurelia nicht überraschend. Sie verdeutlicht, mit welcher Macht die Agrarindustrie und insbesondere die Pestizid-Konzerne die Politik beeinflussen. Die von der Weltnaturkonferenz in Montreal im Dezember 2022 beschlossene Halbierung von Pestiziden, gefährlichen Chemikalien und umweltschädlichen Subventionen bis 2030 findet in der EU bislang nicht statt. Ganz zu schweigen von einer für die Artenvielfalt und unsere zukünftige Ernährungssicherheit unabdingbaren Strategie für den vollständigen Ausstieg aus Ackergiften.

Aurelia schöpft weiterhin alle juristischen Mittel aus, um über Gerichtsurteile den Einstieg in den Ausstieg aus der pestizidabhängigen Landwirtschaft einzuleiten. Wir sind überzeugt, dass nur eine Agrar-Kultur, die im Einklang mit der Natur wirtschaftet, den drohenden Ökosystem-Kollaps in Europa verhindern kann.

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