Der Gerichtsstreit um das Teilverbot bienenschädlicher Pestizide – sogenannter Neonicotinoide – steht kurz vor einer Entscheidung. Heute fand dazu die mündliche Verhandlung in letzter Instanz vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg statt, bei der die zuständige Generalanwältin ihren Schlussantrag für den 27. September ankündigte. Das finale Urteil des Gerichtshofs wird aller Voraussicht nach kurz darauf erfolgen.
Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) hatte 2012 gravierende Mängel bei der Risikoprüfung von Pestizidwirkstoffen hinsichtlich des Schutzes von Honigbienen, Hummeln und Wildbienen aufgedeckt. Die EU-Kommission schränkte daraufhin 2013 die Genehmigungen für die Neonicotinoide Clothianidin (Bayer), Imidacloprid (Bayer) und Thiamethoxam (Syngenta) aufgrund ihrer Schädlichkeit für Honigbienen und wilde Bestäuber erheblich ein. Die Pestizidhersteller klagten dagegen, woraufhin das Europäische Gericht (EuG) in seinem Urteil von 2017 die Teilverbote bestätigte. Bayer hat daraufhin abermals Beschwerde gegen das Urteil eingelegt, sodass der Fall aktuell in letzter Instanz beim EuGH verhandelt wird.
EU-Sicherheitsprüfungen für Pestizide auf dem Prüfstand
In der heutigen mündlichen Verhandlung wurde erörtert, ob die nicht nur von der EFSA festgestellten Schäden für Blütenbestäuber bei den Sicherheitsprüfungen für Pestizidwirkstoffe berücksichtigt werden dürfen. Bayer bestreitet das und verlangt, dass dabei lediglich ein noch geltender Leitfaden aus dem Jahre 2010 zu berücksichtigen sei, solange noch kein neuer Leitfaden von der EU verbschiedet worden sei.
Dabei geht es auch um eine wichtige Grundsatzfrage: Welche wissenschaftliche Grundlage braucht die EU-Kommission, um umweltschädliche Produkte vom Markt nehmen zu dürfen? Inwieweit ist sie dabei an bestehende Standards („Guidances“) gebunden oder darf sie auch neue Erkenntnisse über Umweltrisiken berücksichtigen? Das EuG bestätigte 2017, dass Genehmigungen für Pestizidwirkstoffe im Rahmen einer Überprüfung nach Art. 21 der Verordnung (EG) 1107/2009 eingeschränkt werden können, wenn ernsthafte Zweifel an ihrer Unschädlichkeit bestehen. Nach der Feststellung des Gerichts genügten neue wissenschaftliche Hinweise auf Risiken für Bienen, um die Maßnahmen der EU-Kommission zu rechtfertigen.
Ein Meilenstein für den Insektenschutz
Das Neonicotinoid-Urteil des EuG war ein Meilenstein für den Insektenschutz in der industriellen Landwirtschaft. Nur nachweislich unschädliche Pestizidprodukte können ihre Genehmigung umfassend behalten. Dabei sind auch neuste wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden zu berücksichtigen. Bis zu diesem Urteil war kein vergleichbarer Fall bekannt, in dem die Kommission die Vermarktung genehmigter Produkte von so großer wirtschaftlicher Bedeutung aus Gründen des Umweltschutzes derart weitgehend eingeschränkt hat.
Das bevorstehende Urteil des EuGH wird auch für die Beurteilung eines noch weitergehenden Verbotes der Neonicotinoide maßgeblich sein. Im April 2018 hat die EU-Kommission nämlich beschlossen, dass die in Frage stehenden Wirkstoffe gar nicht mehr im Freiland eingesetzt werden dürfen.
Achim Willand, Anwalt bei GGCS und Vertreter des „Bündnis zum Schutz der Bienen“ sagt: „Ich erwarte, dass der Gerichtshof das Urteil aus erster Instanz weitgehend anerkennt. Damit hätten auch die weitgehenden Verbote von 2018 sehr wahrscheinlich Bestand. Ich erwarte auch, dass der Gerichtshof bestätigt: Im Zweifel für den Umweltschutz und nicht für wirtschaftliche Interessen, denn darum geht es letztendlich!“
Thomas Radetzki, Vorstand der Aurelia Stiftung, kommentiert: „Die Aurelia Stiftung versteht sich als „Anwältin der Bienen“. Unsere zentrale politische Forderung in Bezug auf Neonicotinoide und andere Agrar-Pestizide ist die Anpassung der behördlichen Risikoprüfungen an die Wirklichkeit der in der Landwirtschaft verwendeten modernen Anwendungspraxis. Es müssen im Rahmen einer Zulassung endlich auch nervenschädigende und andere, nicht unmittelbar tödliche Effekte auf Bestäuber untersucht werden. Ebenso die dauerhafte Belastung der Bienen und die sich potenzierende Wechselwirkung verschiedener Wirkstoffe. Das ist bisher nicht der Fall!“
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