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Bienengefährliche Ackergifte für Saatgutbeize zugelassen

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Doppelter Rückschlag im Insektenschutz: Ein EU-weit verbotenes Neonicotinoid kommt jetzt per „Notfallzulassung“ zurück auf den Acker. Mit dem Saatgutbeizmittel „Lumiposa“ erhält außerdem erstmals ein systemisch wirkendes Insektizid im Rapsanbau wieder eine Zulassung in Deutschland. In beiden Fällen handelt es sich um einen prophylaktischen Einsatz von Insektengiften, der für Honig- und Wildbienen hochgefährlich und daher unverantwortlich ist.

In dieser Woche hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) erstmals eine Ausnahmegenehmigung zur Verwendung des eigentlich verbotenen Insektizid-Wirkstoffs Thiamethoxam für die Zuckerrübenaussaat in Nordrhein-Westfalen erteilt. Genehmigungen für weitere Bundesländer stehen noch aus.

Thiamethoxam gehört zu der Stoffklasse der besonders bienenschädlichen Neonicotinoide. Aufgrund seiner nachgewiesenen Schädlichkeit für Bienen wurde der Wirkstoff im Jahr 2018 zusammen mit zwei weiteren Stoffen EU-weit für die Freilandanwendung verboten. Einige EU-Mitgliedstaaten haben seitdem aber auf nationaler Ebene „Notfallzulassungen“ erteilt. Auch Deutschland hat sich jetzt entschieden, das Verbot auf diese Weise zu umgehen.

Prophylaktischer Gifteinsatz per Saatbeize

Thiamethoxamhaltige Mittel werden in der Regel vor der Aussaat direkt auf das Saatgut aufgetragen (sog. Saatbeize). Auf diese Weise verteilt sich das Insektengift in der gesamten heranwachsenden Pflanze – von der Wurzel bis in die Blüten. Die wasserlöslichen Neonicotinoide gelangen auch in den Boden und belasten ihn und benachbarte Gewässer. Boden- und Wasserorganismen, z.B. im Wasser lebende Insektenlarven, können dadurch geschädigt werden. Auch durch sogenannten Abdrift kann es zu einer unkontrollierten Verbreitung der Wirkstoffe und damit zu einer Gefährdung von Bienen und anderen Insekten kommen.

Dass Zuckerrübenanbau auch ohne Neonicotinoide betrieben werden kann, zeigt die Anbaupraxis der letzten Jahre sowie der sich entwickelnde Markt für biologisch angebauten und neonicotinoidfreien Zucker. Wege zu einem naturnahen, bienenfreundlichen Zuckerrübenanbau wurden beispielsweise 2018 auf einem Expertenworkshop des Mellifera e.V. und der Aurelia Stiftung ausgelotet.

Mangelhafte Risikoprüfung

Bereits sehr geringe Mengen von Neonicotinoiden führen zu subletalen Effekten (nicht unmittelbar tödliche Schädigungen) bei bestäubenden Insekten. Wiederholte Belastungen durch geringe Mengen addieren sich, weil die Giftstoffe in den Nervenzellen der Insekten nicht abgebaut werden. Die Nervenzellen sterben durch dauerhafte Übererregung ab. Solche indirekten Effekte und subletalen Wirkungen werden bisher nicht im Rahmen des Pestizidzulassungsverfahrens der EU berücksichtigt. Ebenso wenig die Folgewirkungen der Metaboliten (Abbauprodukte) von Neonicotinoiden oder mögliche Cocktaileffekte durch den Einsatz mehrerer Pestizide zugleich, die noch immer weitgehend unerforscht sind.

Neues Insektengift als Neonics-Ersatz

Im Rapsanbau wird das Neonicotinoid-Verbot zwar nicht durch „Notfallzulassungen“ ausgehebelt. Stattdessen wird aber auf die Zulassung neuer problematischer Insektizide gedrängt. Entgegen der Forderungen der Aurelia Stiftung sowie weiterer Umweltorganisationen und EU-Institutionen werden die neuen Mittel mit demselben mangelhaften Zulassungsverfahren geprüft, das zur Genehmigung der mittlerweile wieder verbotenen Neonicotinoide geführt hat. Das in Deutschland aktuell neu zugelassene Rapsbeizmittel „Lumiposa“ (Hersteller: DuPont) enthält den für Bienen hochtoxischen Wirkstoff Cyantraniliprol. Lumiposa wird ebenfalls prophylaktisch als Saatbeizmittel eingesetzt.

Nicht nur Schädlingsinsekten, sondern prinzipiell alle Tiere, die Blätter von behandelten Rapspflanzen fressen, deren Nektar trinken oder Pollen sammeln, können das Gift aufnehmen und davon geschädigt werden. Das gilt in besonderem Maße für Honigbienen und andere bestäubende Insekten, die Raps als Futterquelle nutzen und von deren Bestäubung der Rapsanbau zugleich hochgradig abhängig ist.

Die Aurelia Stiftung und ihre Partner, der Deutsche Berufs- und Erwerbsimkerbund und das Umweltinstitut München, haben bereits im Jahr 2017 vor einer Zulassung von Cyantraniliprol gewarnt. Aus Sicht der Aurelia Stiftung bleibt der prophylaktische Einsatz von Insektiziden mittels Saatgutbeize aufgrund der bekannten Risiken für Bienen und Umwelt weiterhin untragbar.

Johann Lütke Schwienhorst, Agrarreferent der Aurelia Stiftung, kommentiert:

„Die Neonicotinoid-Notfallzulassung sowie die Neuzulassung von Lumiposa in Deutschland zeigen, dass Industrie und Behörden aus den Skandalen der Vergangenheit nichts gelernt haben. Der Einsatz von bienengefährlichen Insektiziden im Raps und in Zuckerrüben erfolgt somit wieder prophylaktisch, flächendeckend und ungeachtet der damit verbundenen Umweltrisiken. Die Aufwandmenge in der Beizung ist unabhängig vom tatsächlichen Schädlingsdruck, der in Raps und Rüben stark variiert, gleichbleibend hoch. Der prophylaktische Einsatz von Pestiziden entspricht im Übrigen nicht den Vorgaben des EU-Pflanzenschutzrechts bezüglich des integrierten Pflanzenschutzes und muss daher von den Behörden konsequent unterbunden werden.“

Diese Pressemitteilung steht auch als PDF-Download zur Verfügung.

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